Die „Unvollendete“ – eine Autobahn, die es nicht werden durfte

Es sollte ein großer Wurf werden: eine Autobahnverbindung zwischen Reiskirchen, also der heutigen A 5, und Montabaur mit der vorgesehenen Kennzeichnung A 74 und zukünftig Teilstück der E 44, die in Frankreich an der Seinemündung endet. Dieses ehrgeizige Projekt, von dem auch Krofdorf-Gleiberg verkehrstechnisch und wirtschaftlich profitieren sollte und wofür sich bereits Jahre vorher der Jung-Politiker Klaus Daubertshäuser  im Gemeindeparlament wortreich einsetzte, blieb aber ergebnislos,  d. h. nicht ganz, denn tatsächlich begann man etwa 1973 mit dem Bau. Was dann aber geschah, wurde fast zu einer Lachnummer, einer freilich ziemlich teuren: die Autobahn endete – und das lässt sich leicht besichtigen – in einen „Kreisel“ nahe einer Landstraße, nämlich jener zwischen Rodheim-Bieber und Gießen. Aus, Schluss, weiter ging’s nicht mehr. Woran die Fortführung nördlich an Wetzlar vorbei und über die Höhen des Westerwaldes nach Montabaur scheiterte, lässt sich wahrscheinlich nur aus alten Akten erfahren. Gerührt aber hatte sich der Widerstand dagegen bereits in Waldgirmes, den der frühere hessische Landwirtschaftsminister Dr. Werner Best anführte.

Welche Eingriffe in die Landschaft südlich unseres Dorfes die unvollendet gebliebene Autobahn erforderte zeigen Aufnahmen, die 1973/74 entstanden sind. Alle Fotos: Siegfried Träger






Ein Eisenbahnwaggon als Heim im Grünen

Um das Jahr 1933 beschloss der in Gießen wohnende und dort geborene Künstler Carl Bourcarde zusammen mit seiner Ehefrau Elisabeth „draußen vor der Stadt ein Häuschen zu bauen“. Wie dies zu ermöglichen sei, schreibt Bourcarde in einer autobiographischen Schrift „ließen wir zunächst außer acht“. Bis das Ehepaar auf einer Autofahrt zwischen Mainz und Frankfurt auf freiem Feld etwas erblickte, das seine Aufmerksamkeit weckte: einen ausgedienten Eisenbahnwaggon, der, wie sich herausstellte, sogar bewohnt war. Vom Besitzer erfuhr man, dass die Bahnverwaltung in Frankfurt alle Waggons ausmustere, die älter als 25 Jahre seien. Als die Bahn auf Anfrage einen solchen ausgemusterten Waggon tatsächlich in Aussicht stellte, ging es um die Frage: Wo gibt es dafür ein geeignetes Grundstück? Dazu Bourcarde in seiner Schrift: „Für mich war schon von Kind auf der Gleiberg das Symbol meiner Heimat“.  Es müsse „wunderbar sein“ einen Bauplatz ganz in seiner Nähe zu finden. Nach längerer Suche fiel ihm im Frühjahr 1934 ein Stück Land am Ende des Hardtwäldchens links der Straße zwischen Gießen und Krofdorf ins Auge, hatte aber bei aller Begeisterung „keine Ahnung“ über die dortigen Eigentumsverhältnisse. Die Gemarkung, das war schnell zu erfahren, war Teil der Gemeinde Krofdorf-Gleiberg, der auch eines der vier schmalen nebeneinander liegenden Grundstücke gehörte, die drei anderen hingegen waren in der Hand Krofdorfer Bürger. Erst nachdem der Ankauf der Grundstücke gelungen war, ging es an den Kauf des begehrten Waggons, für den die Bahn lediglich 150 Reichsmark fordert, für die Überführung von Frankfurt nach Gießen weitere 74 Mark. Wie aber sollte man das 20 Meter lange und ohne Räder 18 Tonnen schwere Objekt vom Gießener Güterbahnhof an das Hardtwäldchen bugsieren? Das gelang schließlich auf ziemlich abenteuerliche Weise mit Hilfe des Krofdorfer Baumeisters Adam Schieferstein, der auch die weitere Bauausführung übernahm. Die folgenden Bilder zeigen einige Szenen des Transports kurz vor und an seinem Ziel.

Bildgeber und Copyright: Peter Bourcarde

Mit diesem Traktor aus Krofdorf wurde der Transport vom Güterbahnhof Gießen auf die Hardthöhe bewältigt

Angekommen auf der Hardt

Von der Hardthöhe aus musste das gute Stück  talabwärts geschickt werden

Das zukünftige Heim an seinem endgültigen Standort

Jetzt sind Zimmerleute am Werk

Endlich bewohnbar und seither mit der Anschrift An der Weilburger Grenze

Carl Bourcarde (1899-1994), aufgenommen am 28.9.1992 in der Nähe seines Heimes. Das Urnengrab des Bildhauers befindet sich auf dem Gleiberger Friedhof. Foto: Siegfried Träger

Melker auf dem Oberen Hardthof

Nicht genau bekannt ist, wann das Foto unten mit der Melkergruppe auf dem Oberen Hardthofs aufgenommen wurde, es dürfte um 1905/1906 gewesen sein. Zu dieser Zeit gehörte das Anwesen, das um 1820/30 im klassizistischen Stil als Hofgut erbaut worden war, dem Eigentümer der Brauerei am Unteren Hardthof Georg Bichler. In den 1920er Jahren gingen beide, Unterer- und Oberer Hardthof, als Versuchsgut an die Universität Gießen über, wozu der Obere Hardthof bis heute dient. Als das Hofgut noch rein landwirtschaftlich genutzt wurde, gab es hier Arbeit für zahlreiche Menschen aus der Umgebung, auch Krofdorfer und Gleiberger gehörten dazu, wie der Herr mit der weißen Schürze (zweiter von links). Es ist Karl Debus, der mit seiner Familie in der Kinzenbacher Straße 23 wohnte. Möglich wäre es zudem, dass der Herr mit Hut der neue Gutshofbesitzer Georg Bichler ist.

Bildgeberin und Bildinformation: Frau Mina Fink, geb. Debus

Zwei Bilder ohne (viele) Worte

Dieses von nahe dem Hardthof aufgenommene Postkartenmotiv, erschienen bei der Druckerei Bender, stammt aus einer längst untergegangen Zeit, sagen wir aus den 1940er Jahren. Der dem unbekannten Fotografen zugewandte Süd- bzw. Südosthang des Gleibergs ist noch fast unbebaut, lediglich zwei Häuser erkennt man dort, das obere gehörte der Familie Weimer, das darunter liegende der Familie Löw. Und das zu Hausten gehäufte Getreide der zahlreichen Felder war womöglich noch per Hand geschnitten worden. Der dunkle Strich aus Buschwerk quer durchs Bild markiert den tiefen Einschnitt der „Kanonenbahn“, die damals noch zwischen Lollar und Wetzlar verkehrte und längst stillgelegt ist, darüber in Bildmitte die ebenfalls verschwundene Gleiberger Dreschhalle, wo heute die Straße „Am Augarten“ endet und es scharf nach rechts in den Hardtweg, früher Langgasse, geht.

Und hier Jahrzehnte später, am 20.8.2017, der Kamerablick aus gleicher Perspektive.

Foto: S. Träger

Wanderlust mit Saitenspiel

1924 gründeten ein paar junge Burschen unseres Dorfes den „Wander-Club Edelweiß“, und das, wie es sich gehört, mit Eintrag ins Vereinsregister. Alle Gründungsmitglieder – siehe Foto unten -hatten bereits in den Jahren vorher zusammen musiziert, mit Gitarre, Mandoline und Geige.

Untere Reihe von links : Wilhelm Schmidt, Otto Hofmann (Gleiberg)
Zweite Reihe: Ferdinand Becker,  Adolf Bender, Paul Pfeiffer, Karl Hahn
Ober Reihe: Karl Bender, Fritz Göbel, Karl Koch, Paul Koch, Ferdinand Bepperling, Richard Wagner

So führte man einige Zeit unter dem Zeichen des Edelweiß ein unabhängiges Wander- und Musikleben,  beschränkt zunächst jedoch auf nähere Ziele in der Umgebung. Doch bereits ein Jahr nach der Vereinsgründung brach das Häuflein auf  zu einem entfernteren Ziel, dem Thüringer Wald, und Pfingsten 1926 ging es an den Rhein. Dabei machte man die Erfahrung, dass es besser wäre, in Jugendherbergen zu  übernachten als üblicherweise in Scheunen, was allerdings nur möglich wäre bei Mitgliedschaft einer größeren Organisation. Deshalb wurde beschlossen, dem Deutschen Turnverein beizutreten, dem ohnehin bereits einige der Wanderfreunde angehörten. Jetzt folgten große Fahrten zur Zugspitze und als Höhepunkt 1928 nach Hamburg und Helgoland (Foto unten)


Ungefähr zu jener Zeit entstanden Kontakte zu einer Gruppe junger Damen aus dem Dorf, die sich „Die Gedankenfreien“ nannten. Die hatten mit einer spektakulären Aktion ihre Teilnahme am Kirmeszug 1928 durchgesetzt, indem sie sich mit einer Pferdekutsche in das Geschehen einreihten (Foto unten).

Ein weiteres Foto aus unserem Archiv belegt, dass  einige aus dem Kreis der „Gedankenfreien“ sogar an Wanderfahrten des Edelweiß-Clubs teilnahmen, aufgenommen etwa 1930 vor der Kulisse der  Schaumburg nahe der Lahn.

Mit dem „Schneevogel“ geschützt gegen Wind und Wetter durch den Winter

Ein „Hingucker“ war es (und sollte es sicherlich auch sein), worauf an Wintertagen Anfang der 1940er Jahre ein Krofdorfer Landwirt und Hausmetzger die Aufmerksamkeit seiner Mitbürger lenkte. Besitzer dieser originellen Zwitterkreation aus Pferdeschlitten und ausgemusterter Automobilkarosserie war Ernst Krombach, besser bekannt als „Miner Ernst“. „Schneevogel“ nannte er das von Automechaniker Wagner „Neter“ konstruierte Gefährt, das angeblich auch als „Taxi“ zwischen dem Dorf und Gießen im Einsatz war.
Krombach, eine schlanke, auf mich immer etwas verwegen wirkende Erscheinung mit scharfen Gesichtszügen, konnte zu dem Menschenschlag gezählt werden, der sich gerne in Szene setzt.

Aufgenommen wurden die Bilder von einem unbekannten Fotografen in der Hauptstraße, Bild 1 vor Haus Nr. 16, Bild 2 am „Kreuz“ vor der Gastwirtschaft Fries.


1937: 100 Jahre Gleibergverein

Am 9. April 1837 versammelten sich auf Anregung des Wetzlarer Rentmeisters Engisch und des Gleiberger Steuereinnehmers Pfeiffer 36 Personen in der Gastwirtschaft „Zum Schwarzen Walfisch“ zur Gründung des „Gleiberger Geselligkeitsvereins“.  Es konnten keine Armen gewesen sein, denn zum Einstand musste jeder von ihnen 10 Taler Mitgliedsbeitrag blechen. Der Verein war auch von Anfang und ist bis heute keine rein lokale Angelegenheit, was sich bereits am ersten Vorstand ablesen ließ: Hofkammerrat Hofmann und Hofgerichtsadvokat Heß aus Gießen, Amtmann Diesterweg aus Atzbach sowie die oben genannten Herren Engisch und Pfeiffer. Spätere Mitglieder stammten sogar aus allerhöchsten Kreisen, etwa Kaiser Wilhelm I. oder Seine Königliche Hoheit Großherzog Adolf von Luxemburg.

Hundert Jahre nach Gründung des inzwischen zum „Gleibergverein“ umbenannten Vereins ging es wieder hoch her, drei Tage lang, von Freitag, 4. bis Sonntag, 6. Juni 1937. Den Beginn machte ein Festabend im „Kaffee Leib“ in der Gießener Walltorstraße, in dessem Mittelpunkt das Volksspiel „Das Gasthaus zur Spießpforte in Gleiberg“ stand, geschrieben von dem Friedberger Oberstudiendirektor Philipps, aber aufgeführt ausschließlich von Krofdorfer und Gleiberger Laiendarstellern. Tags darauf dasselbe Programm in der Krofdorfer Turnhalle. Und dort stellte sich das gesamte Ensemble des Stückes dem Fotografen:

Untere Reihe von links nach rechts: 1. Helene Stork, Wiesenstraße 12; 2. Kurt Röhrsheim, Zum Biergraben 4; 3: Erna Schmidt, Haptstraße 4; 4. Willi Will, Fohnbachstraße 13; 5. Anita Drescher, Burgstraße 18; 6. Karl Leicht, Wiesenstraße 4; „Tante Käthe“, Kindergärtnerin in Krofdorf
2. Reihe: 1. Hermine Schwingschlögel; 2. Karl Ekarius, Hauptstraße 68; 3. Theodor Burk (Gleiberg); 4. Elli Henkel (Gleiberg); 5. Ernst Leib „Storke Ernst“, Fohnbachstraße 4
3. Reihe: 1. Heinz Reichard „Oberförsters Heinz“; 2. Mia Graßler; 3. Otto Laucht (Gleiberg); 4. Klara Stork, Poststraße 5; 5. Wilhelm Röhrsheim, Fohnbachstraße 21
4. Reihe: Franz Richter; 2. Ernst Bender, Hauptstraße 15; 3. Martha Echternacht; 4. Adolf Rinn, Lehrer; 5. Walter Forbach, Rodheimer Straße 42; 6. Marie Will, Fohnbachstraße 9; 7. Paul Weil „Schubeckesch“, Inselstraße 8
Obere Reihe: 1. Hilde Leib, Hauptstraße 28; 2. Werner Amend, Wetzlarer Straße 1

Aus dem „Wirtschaftsleben“ anno dazumal (I)

Als dieses Foto etwa 1913/1914 in der Gastwirtschaft Hubert Freund (heute „Lava“) von Anna Weber aufgenommen wurde, konnten trinkfreudige Krofdorfer, wollten sie in geselliger Runde ihren Durst löschen, noch unter mehreren Wirtshäusern wählen. Das ist längst „perdu“, nachdem in den vergangenen Jahrzehnten deren Zahl deutlich schrumpfte. Dafür gab es sicherlich mehrere Gründe, darunter an erster Stelle wahrscheinlich einfach „Nachwuchsmangel“ an Wirten und Wirtinnen. Die vier Herren im Vordergrund der Aufnahme (Namen siehe Bildunterschrift) lassen sich von der Wirtstochter Elisabeth Freund, links, bedienen, die zusammen mit ihrem späteren Ehemann August Bender das Gasthaus mit Metzgerei bis in die 1950er Jahre führte. Das andere Mädchen ist die jüngere Freund-Tochter Marie.


Von links: 1. Karl Pausch aus der Hauptstraße 8; 2. Karl Weber, Vater der Fotografin, Hauptstraße 16; 3. Ernst Schmidt aus der Schieferstraße 3; 4. Der Schmied Philipp Drescher aus der Inselstraße 5
Bildgeberin und Information: Anni Wagner, geb. Dick

Freie Turner und „Der Schmied von Ruhla“

Anfang der 1990er Jahre erfuhr ich in einem Gespräch mit unserem Mitglied Franz Richter erstmals von einem „Schmied von Ruhla“, das sei ein Theaterstück gewesen, das Mitglieder der Freien Turnerschaft in seiner Kindheit in Krofdorf aufgeführt hätten. Franz ist 1919 geboren, also dürfte dies noch vor 1930 gewesen sein. Zwar gelang es mir bis heute nicht, das genaue Aufführungsdatum zu ermitteln, erhielt aber längere Zeit  nach Richters Mitteilung  von Heinz Drescher drei Fotos mit Szenen aus dem Stück (siehe unten), die vermutlich während einer winterlichen Probe im Hof der damaligen Gastwirtschaft „Freund“ entstanden waren. Das Stück geht auf ein sagenumwobenes dramatisches Ereignis im Thüringen des 12. Jahrhunderts zurück, das im 19.Jahrhundert sogar Stoff zu einer Oper lieferte. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass die Krofdorfer Aufführung nicht als Oper daherkam.

Die Akteure von links: 1. Theodor Schäfer; 2. Ernst Schneider; 3. Berthold Richter; 4. Minna Laucht; 5. Louis Schleenbecker; 6. Marie Freund; 7. Albert Bechthold; 8. Paul Mandler; 9. Fritz Neuhaus; 10. Ernst Hahn; 11. Paul Will