Ein Eisenbahnwaggon als Heim im Grünen

Um das Jahr 1933 beschloss der in Gießen wohnende und dort geborene Künstler Carl Bourcarde zusammen mit seiner Ehefrau Elisabeth „draußen vor der Stadt ein Häuschen zu bauen“. Wie dies zu ermöglichen sei, schreibt Bourcarde in einer autobiographischen Schrift „ließen wir zunächst außer acht“. Bis das Ehepaar auf einer Autofahrt zwischen Mainz und Frankfurt auf freiem Feld etwas erblickte, das seine Aufmerksamkeit weckte: einen ausgedienten Eisenbahnwaggon, der, wie sich herausstellte, sogar bewohnt war. Vom Besitzer erfuhr man, dass die Bahnverwaltung in Frankfurt alle Waggons ausmustere, die älter als 25 Jahre seien. Als die Bahn auf Anfrage einen solchen ausgemusterten Waggon tatsächlich in Aussicht stellte, ging es um die Frage: Wo gibt es dafür ein geeignetes Grundstück? Dazu Bourcarde in seiner Schrift: „Für mich war schon von Kind auf der Gleiberg das Symbol meiner Heimat“.  Es müsse „wunderbar sein“ einen Bauplatz ganz in seiner Nähe zu finden. Nach längerer Suche fiel ihm im Frühjahr 1934 ein Stück Land am Ende des Hardtwäldchens links der Straße zwischen Gießen und Krofdorf ins Auge, hatte aber bei aller Begeisterung „keine Ahnung“ über die dortigen Eigentumsverhältnisse. Die Gemarkung, das war schnell zu erfahren, war Teil der Gemeinde Krofdorf-Gleiberg, der auch eines der vier schmalen nebeneinander liegenden Grundstücke gehörte, die drei anderen hingegen waren in der Hand Krofdorfer Bürger. Erst nachdem der Ankauf der Grundstücke gelungen war, ging es an den Kauf des begehrten Waggons, für den die Bahn lediglich 150 Reichsmark fordert, für die Überführung von Frankfurt nach Gießen weitere 74 Mark. Wie aber sollte man das 20 Meter lange und ohne Räder 18 Tonnen schwere Objekt vom Gießener Güterbahnhof an das Hardtwäldchen bugsieren? Das gelang schließlich auf ziemlich abenteuerliche Weise mit Hilfe des Krofdorfer Baumeisters Adam Schieferstein, der auch die weitere Bauausführung übernahm. Die folgenden Bilder zeigen einige Szenen des Transports kurz vor und an seinem Ziel.

Bildgeber und Copyright: Peter Bourcarde

Mit diesem Traktor aus Krofdorf wurde der Transport vom Güterbahnhof Gießen auf die Hardthöhe bewältigt

Angekommen auf der Hardt

Von der Hardthöhe aus musste das gute Stück  talabwärts geschickt werden

Das zukünftige Heim an seinem endgültigen Standort

Jetzt sind Zimmerleute am Werk

Endlich bewohnbar und seither mit der Anschrift An der Weilburger Grenze

Carl Bourcarde (1899-1994), aufgenommen am 28.9.1992 in der Nähe seines Heimes. Das Urnengrab des Bildhauers befindet sich auf dem Gleiberger Friedhof. Foto: Siegfried Träger