Fotografieren – warum?
Was vor einem halben Jahrhundert ein paar Herren – es waren tatsächlich nur Herren – aus unserem Dorf veranlasste, einen Verein zu gründen nur um zu fotografieren, lässt sich heute nicht mehr eindeutig beantworten. Gab es eine Anregung von Außen, kam der Impuls dazu von nur einem der Gründer oder von mehreren? Hatte man eindeutige Ziele oder geschah’s einfach zum Zeitvertreib? Also wir wissen es nicht genau. Vereinsmeierei indes dürfte kaum ein Motiv gewesen sein, dafür hätten sich damals schon andere Gelegenheiten geboten. Gestehen wir den Vereinsgründern also zu, Sie taten es zu allererst:
”Aus Liebe zur Fotografie”
Und diese Neigung sollten sie wohl eben “vereinsmäßig”, also gemeinsam, praktizieren und nach Außen demonstrieren.
Fotografische Bilder schaffen hat seit seinem Beginn Anfang des 19. Jahrhunderts immer etwas mit Chemie, Physik und Technik zu tun (wovon die Chemie inzwischen immer weniger gefragt ist). Wer fotografiert, sollte also wenigstens ein paar Grundkenntnisse auf diesen drei Gebieten haben. Dazu noch ein gewisses Maß “gestalterischer” Fähigkeit und Schönheitssinn. All das lässt sich, wenn man’s will, erlernen. Erst damit nämlich gelingt es, das eigentliche Ziel des Fotografierens einigermaßen befriedigend zu erreichen, und dieses Ziel heißt letzten Endes:
“Die Zeit festhalten, Erinnerung schaffen”
Das wäre dann neben der reinen Liebe zur Fotografie ein weiteres mögliches und wichtiges Motiv der Gründung unseres Vereins gewesen.
Nichts kann uns wahrscheinlich die Vergänglichkeit der Zeit und des Lebens besser vor Augen führen als ein Bild, besser und eindringlicher jedenfalls als die ausführlichste und genauste Beschreibung eines Menschen, eines Gegenstandes. Ob Fotografieren als Atelierfotograf, als Reporter oder als “Amateur”, was dabei heraus kommt ist ja immer schon Vergangenes und seien es – was die Sofort- oder Digitalfotografie inzwischen ermöglicht – auch nur Sekunden nach der erfassten Situation. Sobald man ein Ereignis, ein Gesicht, eine Landschaft, eine Straßenszene fotografisch “fixiert” hat, ist es möglich, wenig oder Jahre später Veränderungen zu registrieren, Vergleiche zwischen jetzt und damals anzustellen, darüber zu erschrecken, sich zu freuen oder andere Schlüsse daraus zu ziehen.
Fotografie macht also die Vergangenheit auf sehr konkrete Weise nachvollziehbar, macht sie vorstellbarer und bildet sie exakter und nachhaltiger ab als unser Gedächtnis allein, ja macht das Erfassen von Vergangenheit of überhaupt erst möglich.
“Fotografien sind Ankerpunkte der Erinnerung”
Niemand wüsste, wie er als Baby ausgesehen hat, gäbe es davon kein Foto. Und, freut man sich nicht darüber? In unserem Archiv befinden sich mehr als hundert Jahre alte Aufnahmen von Mädchengruppen, wahrscheinlich Freundinnen, Alterskameradinnen, die zusammen nach Gießen gewandert waren, um sich dort einem der vielen Atelierfotografen jener Zeit zu stellen. Die so entstandenen Aufnahmen dienten den Mädchen sicher lediglich als ganz eigene Erinnerungsstücke und um ihr freundschaftliches Zusammengehören auszudrücken. Aber: Hätten sie den aufwändigen Weg nach Gießen unterlassen, die Nachwelt hätte keine Vorstellung mehr davon wie Dorfmädchen damals aussahen, sich kleideten, sich frisierten. Und damit trugen die jungen Damen, ohne es zu ahnen, auch ein wenig zur Dorfhistorie bei, zum Festhalten lokaler Vergangenheit über das persönliche Interesse hinaus.
Fotografische Bilder lassen kaum jemand unberührt, sie lösen Gemütsbewegungen aus, um so heftiger, je näher wir uns dem abgebildeten Objekt verbunden fühlen.
Ganz nahe sind uns allen natürlich Aufnahmen aus dem Familienkreis, vom ersten Urlaub in Italien oder in den Bergen. Solche intim-private Produkte finden sich zuhauf in dicken Alben, die dann in Schubkästen und Schrankwänden verstaut werden und nur noch selten, wenn überhaupt, ans Licht kommen.
Auch Fotografieren als “Vereinsarbeit” möchte Gefühle auslösen, aber nicht in privater Umgebung sondern publikumswirksam, also öffentlich. Mit zahlreichen Veranstaltungen und Ausstellungen haben die Fotofreunde in den vergangenen 50 Jahren diese Fähigkeit bewiesen, haben sich damit “eingeklinkt” in die Dorfgeschichte, sie sichtbar gemacht. Sie sind sogar darüber hinaus gegangen, haben mit ihren Aufnahmen von oft weiten Reisen die Welt ins Dorf geholt, was – beurteilt man das damit ausgelöste Echo – die Zuschauer ebenfalls berührt haben muss.
Das Wirken der Fotofreunde ist also viel mehr als nur das “Hobby” einer kleinen Gruppe bildverliebter Amateure. Mit ihren Produkten waren und sind sie im wahren Sinn des Wortes Augenzeugen ihrer Zeit.